
18. Tag: Puh, noch mal Glück gehabt
- Posted by admin
- On 19. September 2018
Heute liegen «nur» 470 Kilometer vor uns. Dass es jedoch keine gemütliche Spazierfahrt wird, stellen wir fest, als wir einen Blick in unseren «Pamir Travel Guide» werfen. Denn die prognostizierte Fahrzeit soll 9 ½ Stunden betragen. Uns ahnt Böses! Die selbst erfüllende Prophezeiung wird sich auch dieses Mal bewahrheiten. Dazu später mehr. Zuerst möchten wir uns lieber auf die schönen Ereignisse des Tages konzentrieren.
Während unserer Fahrt durch das Pamir-Gebirge müssen wir immer wieder mal einen Checkpoint passieren. Inzwischen eine Routineangelegenheit: Aussteigen, Pässe hin, ein paar Minuten warten, Pässe her, einsteigen und weiterdüsen. Dies war nicht immer so, wir haben dazugelernt. Beim Passieren der ersten Grenzposten auf asiatischem Kontinent fragten wir uns immer wieder, weshalb die Grenzsoldaten teilweise minutenlang schweigend in unsere Pässe und unseren Fahrzeugausweis starren. Endlich stellten wir fest, dass sie weder mit dem weissen Kreuz noch mit den Übersetzungen auf dem Passumschlag etwas anfangen können. Ebenso wenig mit dem Kürzel «VW» im Fahrzeugausweis. Um die Grenzsoldaten von diesem Leiden zu erlösen und ihre Arbeit zu erleichtern, haben wir gleich bei der Ausweisübergabe nett darauf hingewiesen, dass wir aus «Swizaria» kommen und einen «Volkswagen» fahren.
Als wir uns dem Checkpoint kurz vor Khorog nähern, bietet sich uns ein ungewohntes Bild. Während bisher üblicherweise zwei oder drei Grenzsoldaten am Checkpoint postiert waren, erwartet uns hier eine halbe Armee und Polizeigarde. Vor allem ein Riese in Kampfmontur macht uns mächtig Eindruck. Seine Statur erinnert uns an «Hulk». Dem möchten wir im Dunkeln definitiv nicht über den Weg laufen. Während ein Grenzsoldat unsere Pässe kontrolliert, kommen wir mit einem Polizisten ins Gespräch. Er ist sehr zurückhaltend mit näheren Informationen, was dazu führt, dass unser Kopfkino zu laufen beginnt. Als wir uns gerade die wildesten Szenarien ausdenken, werden wir mit einem freundlichen «everything is okay» in die Realität zurückgeholt. Ein Grenzsoldat streckt uns unsere Pässe entgegen. Zusätzlich überreicht er uns zwei Äpfel als Geschenk. Dankend nehmen wir diese an und verabschieden uns. Nachdem wir die Barriere passiert haben, können wir uns ein Lachen nicht verkneifen. Bisher waren wir diejenigen, die an Grenzposten irgendwelche Lebensmittel als Geschenk übergaben und jetzt erhalten wir etwas. Die Äpfel essen wir übrigens nicht selber, sondern schenken sie am nächsten Checkpoint an zwei Grenzsoldaten weiter.
Während unserer Fahrt durchqueren wir Khorog, die Hauptstadt der autonomen Provinz Berg-Badachschan. Die Stadt zählt ungefähr 30 000 Einwohner und liegt wie eine grüne Oase in der sonst kargen Bergwüste. Zum Anhalten fehlt uns leider die Zeit und so verlassen wir Khorog wieder in Windeseile. Danach geht es 340 Kilometer dem Quellfluss Pjandsch entlang, der die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan markiert. Unsere Schotterpiste schmiegt sich die meiste Zeit an die rechte Flanke einer imposanten Felsschlucht. Auf der linken Uferseite ist Afghanistan zum Greifen nah. Das ewige Gerüttel ist nicht nur zermürbend, sondern auch nervenaufreibend. Nach drei Tagen über Stock und Stein habe ich es zugegebenermassen langsam satt. Bei Michi hingegen habe ich das Gefühl, dass er noch endlos so weiterfahren kann. Seine Coolness wird jedoch ein abruptes Ende finden und zwar zum Zeitpunkt als ich gerade meine Augen schliessen möchte, um mich etwas zu entspannen. Ein lauter Knall, als hätte unmittelbar vor uns ein Meteorit eingeschlagen, schreckt mich auf. Wir schlagen mit unserem Unterbodenschutz dermassen hart auf, dass uns die Sachen, die auf dem Armaturenbrett sowie auf der Ablagefläche über unseren Köpfen deponiert sind, nur so um die Ohren fliegen. Ich kralle mich am Sitz fest, mein Herz rast. Was war das gerade? Wir haben gerade Bekanntschaft mit einem grossen Schlagloch gemacht. Wir rechnen mit dem Schlimmsten! Nach über 10 000 nahezu problemlos zurückgelegten Kilometern sind wir einer grösseren Panne so nahe wie nie zuvor. Und das 380 Kilometer vor dem Ziel. Mein Herzschlag normalisiert sich erst wieder, als ich bemerke, dass Sunny einmal mehr einfach unbehelligt weiterfährt. Puh, noch mal Glück gehabt!
Der heutige Tag ist im Eilzugtempo vergangen. Die Uhr zeigt 19.30 an und die Finsternis der Nacht grüsst bereits wieder. Immer wieder erspähen wir im Dunkeln Soldaten, die an der Grenze patrouillieren. Am liebsten würden wir jetzt einfach nur unser Fahrzeug abstellen und den Abend gemütlich ausklingen lassen. Die grosse Bandbreite an emotionalen Erlebnissen hat bei uns Spuren hinterlassen. Wir sind fix und fertig! An Schlaf ist nicht zu denken. Es findet sich einfach keine passende Übernachtungsmöglichkeit. Auf der linken Seite begleitet uns unverändert der Pjandsch und auf der rechten Seite umgibt uns ein gewaltiges Felsmassiv. Wohl oder übel fahren wir weiter, bis sich der Strassenverlauf immer mehr vom Pjandsch entfernt und uns wieder ins Landesinnere von Tadschikistan führt. In Shuroobod, dem nächstgelegenen Dorf, machen wir uns auf die Suche nach einem Schlafplatz. Wir verlassen die geteerte Strasse und biegen auf einen Feldweg ein. Schliesslich parkieren wir unser Fahrzeug auf einer leichten Hochebene. Viel erkennen können wir nicht. Wir sind gespannt, was für ein Anblick uns morgen bei Sonnenaufgang offenbart wird.
Herzliche Grüsse
Michi & Steph
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